Die Schöne und das Biest. Warum interessiert sich die Philosophie für Tiere?
Prof. Dr. Markus Wild, Universität Basel
Es gibt eine berühmte Stelle bei Immanuel Kant, an der er erklärt, wie die drei grundsätzlichen Fragen der Philosophie lauten. Sie lauten: „Was kann ich wissen?“ (Erkenntnistheorie), „Was soll ich tun?“ (Ethik), „Was darf ich hoffen?“ (Religion). Allerdings bemerkt Kant, dass diese drei Fragen letztlich auf eine grundlegende Frage verweisen, nämlich: „Was ist der Mensch?“. Offenbar bildet Kant zufolge die Anthropologie, die Lehre vom Menschen, das Herz der Philosophie. Tatsächlich steht die Frage nach dem Menschen seit der Antike im Zentrum der Philosophie. Insbesondere die Philosophie der Neuzeit stellt den Menschen immer mehr in den Vordergrund. Im Schatten der Frage, was der Mensch sei, läuft aber stets das Tier mit, denn in der Philosophiegeschichte wird jene Frage stets in der Abgrenzung zum Tier beantwortet: der Mensch ist das Tier plus X (und entsprechend ist das Tier der Mensch minus X). Zum Beispiel gilt der Mensch als Tier, das Vernunft hat oder als Tier, das Moral hat. Man könnte also so weit gehen und behaupten, dass der Mensch-Tier-Unterschied die Grundunterscheidung der Philosophie darstellt. Zum Beispiel stellen sich Philosophen die Frage, was Wissen sei, was Moral sei, was Gott sei. Dabei wird vorausgesetzt, dass Tiere weder über Wissen, noch über Moral oder Religion verfügen. Insbesondere versteht sich die Philosophie selbst als höchster Ausdruck der Vernunft der Menschen, sie ist der Inbegriff der Rationalität. Auch der Gedanke, dass der Mensch vor allem anderen ein vernünftiges, ein rationales Lebewesen sei oder sein solle, verdankt sich der Abgrenzung zum Tier. Aus diesem Grund also interessiert sich die Philosophie für das Tier. – In meinem Vortrag werde ich zuerst den Gedanken stark machen, dass der Mensch-Tier-Unterschied eine Grundunterscheidung der Philosophie darstellt. Dann werde ich argumentieren, dass die Philosophie heute gut daran täte, diesen Unterschied kritisch zu hinterfragen. Im Lichte dessen, was wir über Tiere wissen, scheint es schwierig zu sein, ihnen Wissen oder Moral schlichtweg abzustreiten. Zum Abschluss werde ich fragen, was wir über Tiere wissen können, was wir mit Tieren tun sollen und was wir für sie hoffen dürfen.
Datum: 2017-11-13