Studium Generale
Wohnungspolitik im Wettstreit der Interessen
Ricarda Pätzold, Deutsches Institut für Urbanistik, Berlin
Es gibt eine Reihe innovativer Wohnprojekte – in Zürich, München, Wien oder Tübingen – in denen die Ziele der Schaffung von bezahlbarem Wohnraum, von sozialer Mischung, ökologischer Nachhaltigkeit und Quartiersbezug wunderbar verknüpft werden. Jedes Jahr kommen drei bis fünf solcher Exkursionsziele hinzu. Allein es bleibt aus, das der „normale“ Wohnungsmarkt, die von der Fachwelt gelobten Prinzipien übernimmt.
Die Notwendigkeit dazu bestünde, denn die Folgen der Corona-Pandemie wirken derzeit wie ein Katalysator: Sie zeigen zum einen die Defizite in der Bedarfsgerechtigkeit des Wohnens auf – denn die Elastizität von Wohnungen kommt schnell an Grenzen, wenn diese immer mehr Funktionen (Schule, Arbeit, Fitness, Kultur) aufnehmen müssen. Zum anderen stellt der Lockdown in einer Reihe von Wirtschaftszweigen zudem optimistische Finanzierungsmodelle für Wohneigentum in Frage. Mittlerweile sind bereits die ersten 100 Artikel zum Ende der Stadtliebe erschienen und die hohen gesellschaftlichen Kosten der Krise lassen perspektivisch die Gestaltungs- und Handlungsspielräume (neue Gemeinnützigkeit, Bodenpolitik, Konzeptvergabe, Sozialquoten u.a.) eher schrumpfen.
Der Vortrag geht davon aus, dass für „die soziale Frage unserer Zeit“ keine allseits befriedigende Lösung in Sicht ist. Wohnungspolitik findet in einem Spektrum gegensätzlicher Interessenlagen statt. Selbst wenn im Feuilleton der Eindruck entsteht, dass die Zeit der Renditemaximierung vorbei wäre und das „Gemeinwohl“ ins Zentrum rückt, preist doch der „Wirtschaftsteil“ nach wie vor die Anlagemöglichkeiten in Immobilien. Der Boden- und Immobilienmarkt ist momentan ein entscheidender Hebel der fortschreitenden Umverteilung von Vermögen. Seit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008, deren Auslöser u.a. faule Immobilienfinanzierungen waren, hat sich der Einfluss globaler Finanzinvestoren weiter vergrößert. Die Folgen treffen bei weitem nicht mehr „nur“ untere Einkommensschichten. Bezahlbares Wohnen ist eine wichtige Grundlage für Lebensqualität und soziale Innovationen. Vor diesem Hintergrund ist weit mehr als die sozialen Sicherungssysteme berührt, vielmehr die Funktionsfähigkeit der Stadt als Ganzes wird sukzessive in Frage gestellt.
Moderation: Günther Franke
Datum: 2021-01-18